| Dies ist eine Archivseite mit dem inhaltlichen Stand von 2003 |
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| Dieser Bericht stammt von Utz Anholt, der ihn uns freundlicherweise zur Verfügung stellte. | |||||
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WOLFSLAND - WOLFSSPUREN
DER WEG ZU DEN WÖLFEN Durch das Riesengebirge bis nach Zittau und von
da nach Rietschen und Lodenau- z WO DIE WÖLFE LEBEN Die Wölfe in der Oberlausitz auszumachen, ist nicht einfach,wir befinden uns in der drittgrößten Teichlandschaft Europas. Die Oberlausitz zeichnet sich durch Kontraste aus. Lausitz heißt Sumpfland - in historischen Zeiten der Name für das Gebiet zwischen Elbe und Oder. Böhmen, Kursachsen, Brandenburg und Kursachsen wechselten sich als Herrscher ab. Die Lausitz hat eine interessante Tradition im Umgang mit der Natur. Fürst Pückler in Muskau, einer der aufgeklärtesten Adligen seiner Zeit, veräußerte sein Vermögen für die Muskauer Gartenanlage - ein Höhepunkt der Landschaftsgärten in Europa. Laut Gesetz durfte nur der preußische König mit vier Pferden durch das Brandenburger Tor fahren. Pückler spannte vier weiße Hirsche vor seine Kutsche und umging so das Verbot. Von Nord nach Süd (Muskau bis Tschechien) finden sich Moor und Kiefernheide mit Sandböden und Binnendünen, in den Senken Sümpfe, während es Richtung Süden in bewaldetes Mittelgebirge übergeht. Die nassen Standorte der Oberlausitz werden seit dem Mittelalter als Fischteiche genutzt. Diese morphologische Vielfalt führt zu einer reichen Fauna und Flora. Aus Flachwasserbereichen bildeten sich Schilfwälder, Lebensraum für bedrohte Tierarten. Die Lausitz liegt an der Schnittstelle der Verbreitungsgrenzen zahlreicher mittel- und osteuropäischer Tier- und Pflanzenarten. Die Sandböden der Heide-Teich-Landschaft führten historisch zu einer geringen landwirtschaftlichen Nutzung. Weite Flächen wurden und werden forstwirtschaftlich, die Teiche zur Karpfenzucht genutzt. Traditionell findet also das statt, was wir als nachhaltige Nutzung bezeichnen. Das Dreieck zwischen Hoyerswerda, Weißwasser und Niesky gilt als eine der wenigen Regionen in Deutschland , in denen Wölfe in stabilen Populationen leben können (andere sind Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und die Brandenburger Heidegebiete). Die Wälder sind voll Schalenwild, eine optimale Nahrungsbasis für den Wolf. Die nördliche Lausitz ist sehr dünn besiedelt. Über Schöpstal und Königshain in die Oberlausitz. Allein im Niederschlesischen Oberlausitzkreis liegen 20 Naturschutzgebiete, mit einer Größe von 7,70 ha ( Hammerteich) bis zu 1510,0 ha (Niederspree erweitert). Fast alle sind auf ihre Art großartig (den Informationsbroschüren zufolge). Das Biosphärenreservat liegt zu 47% im Niederschlesischen Oberlausitzkreis. Irgendwo da sollten sich die Wölfe aufhalten, leider fehlinformiert (vielleicht auch nicht, Wölfe haben einen großen Aktionsradius). Auf jeden Fall wusste niemand etwas von Wölfen im Biosphärenreservat. In Quitzdorf a. See meinten Einheimische, die Wölfe befänden sich bei Neudorf. Eine aufregende Tour, mit dem Auto den Gerüchten über die Wölfe hinterher. Der Anhaltspunkt war jedoch ein anderer: Nachmittag, vielleicht könnte man in Lodenau oder Rietschen BUND-Leute treffen. Nach Verirrungen dann von Niesky auf den Weg nach Rothenburg/ OL, um von dort nach Lodenau zu kommen. Es war dunkel geworden und im die Wege durch Nadelwald und Heide reichten wohl bis zum Horizont des Fernlichts. Die Landschaft erinnerte an Oberschlesien auf polnischer Seite, ein wenig vielleicht an die Müritz außerhalb der Wälder. Auf der Karte sah es einfacher aus als in Wirklichkeit. Die Landstraßen zwischen Niesky und Rothenburg sind wirkliche Landstraßen. Die Zeit scheint stehengeblieben, die Dörfer nachts pittoresk, flache Holzheidehäuser lassen Assoziationen zu einer ethnologischen Ausstellung über die Sorben aufkommen. Die Fantasie striff umher - Wolfsrudel, die aus den Steppen Osteuropas ausschwärmen und halbwilde Pferdeherden umschleichen, so eine Mischung aus Karl May und Alfred Edmund Brehm. Die Landschaft ist zwar romantisch, aber zur Orientierung waren die Voraussetzungen nicht gut, kleine Ortschaften, in denen ab und zu ein Wegweiser Rothenburg aufleuchtete - oder eben nicht. Wolken waberten vor dem Vollmond, Natur, wohin das Auge reicht. Zusehends meldete sich das Bedürfnis, in einen Feldweg zu fahren und das Zelt in der Heide aufzustellen. Zusehends meldete sich der Hunger. Andererseits von Zittau bis hierher und jetzt kurz vor dem Ziel aufhören? Vor welchem Ziel? Wölfe sehen oder hören? Wohl kaum. Aber einige nähere Informationen wollte ich bekommen, und wenn ich nur an die Stelle kam, wo die Wolfsspuren außerhalb des Parks gesichtet worden waren. Die Kiefernwälder der Muskauer Heide breiteten sich aus - vermutlich, denn an der Straße standen Schilder "Militärisches Sperrgebiet". Hier lebt das erste Wolfsrudel. Aussteigen und die Nacht am Schild verbringen, sich vorstellen, wie die Welpen lernen, Beute zu schlagen? Über Uhlsmannsdorf und Rothenburg /OL nach Lodenau zu gelangen. Irgendwo zwischen Lodenau und Rietschen. Aha. Haben sie Lodenau schon bei Nacht gesehen? Allein, übermüdet, hungrig. In Rothenburg hatten Gaststätten geöffnet, aber zurück? Das nicht. Ein direkter Weg war nicht möglich, irgendwann endete er vor dem Schild "Naturschutzgebiet - Kraftfahrzeuge nicht erlaubt. Also Richtung Quolsdorf. Irgendwann führte ein Wegweiser zum Naturschutzzentrum. es handelte sich um das Zentrum Schloß Niederspree. Immerhin eine asphaltierte Straße bis zu einem Parkplatz inmitten eines Mischwaldes. Ein Herrenhaus, ein Gutssitz, hin- und herwogende Wolken vor dem Mond. Eine Szenerie für einen Werwolffilm, Graf Niederspree, der Heidewolf oder so. Das einsame Gebäude am Waldrand war geschlossen - um 23.00. Wege führten in den Wald - allerdings Naturschutzgebiet. Ein gewisser Reiz stachelte, herumzuschweifen, wissend, dass sich irgendwo die Wölfe aufhalten könnten. Bei Vollmond war viel zu sehen, wenn sich die Augen an das Licht gewöhnt hatten. Der Hunger, das Bedürfnis nach Kommunikation war stärker und in Rietschen eine Gaststätte erleuchtet. Einige, meist ältere, Männer und Frauen saßen noch an einem Tisch. Ein älterer Herr erzählte, dass Fischadler ein Flugbild wie eine große Möwe haben. Die Wirtin antwortete auf die Frage, ob sie Neues von den Wölfen zu berichten wüssten. "Die sind in der Nähe von Neudorf und Petershain", sagte die Wirtin. Der ältere Herr war neugierig, warum die mich interessieren, die würde ich doch sowieso nicht sehen. Wir kamen ins Gespräch. Dr. Hans-Dieter Engelmann gründete das Naturschutzzentrum Schloss Niederspree. Er ist Zoologe, ehemaliger stellvertretender Leiter des Görlitzer Naturkundemuseums (immerhin das viertgrößte in Deutschland) und hatte gerade einen Vortrag gehalten. Angeblich könnte er mir als Insektenkundler wenig von den Wölfen erzählen, was sich als Untertreibung herausstellte. Meine Frage, wo ich denn übernachte, quittierte ich mit einem Achselzucken. Im Wald hätte sich vielleicht anstößig angehört. Engelmann schlug vor, uns im Naturschutzzentrum weiter zu unterhalten. Die weiteren Neuigkeiten waren überraschend - im positivsten Sinne: Zwei Rudel mit ca 19 Tieren, davon fünf Altwölfe und 14 Jungtiere streifen jetzt auf der deutschen Seite umher. Das alte Rudel besteht aus zwei Alttieren und drei Jährlingen, das neue Rudel lebt in der Neustädter Heide und besteht aus den Elterntieren und neun Welpen. Der Rüde kam aus Polen. Vieles deutet darauf hin, dass die Wölfe sich in der Lausitz fest wieder ansiedeln - sie kommen auf ihren alten Wegen aus Polen, ohne, dass sie ernsthafte Hindernisse erwarten. Und nicht nur das. Einheimische beobachteten in den letzten Jahren Elche in der Teichlandschaft Niederspree. Zwar kamen Elche, die in historischer Zeit hier lebten, immer wieder zu den Teichen, jetzt aber regelmäßiger. Wölfe, die in der Lausitz Elche jagen, ein schöner Wunschtraum, aber nicht völlig utopisch. Die Region ist nicht nur ein ideales Wolfsrevier, sondern auch ein vorzügliches Habitat für Elche - flache Teiche, Naßwälder, Moore, alles, was der Elch zum Leben braucht. Bruchwälder und Dickichte bieten ausreichend Rückzugsmöglichkeiten für Wolf und Elch. Engelmann zufolge wäre in der Lausitz Platz für drei weitere Rudel.
Am Frauenteich stehen Grau- und Silberreiher, wieviel, fast 100, eine unglaubliche Ansammlung. Es ist klar, warum. Männer mit Gummihosen haben den Teich abgelassen und keschern Karpfen, Schleien und Hechte hinaus. Sie kommen mit einen extra Fischbagger, in dessen Schaufel sie die gekescherten Fische werfen. Wie Engelmann erzählte, sind auch die Seeadler nicht weit. Ein Paar zieht seine Kreise, mal nur kleine Punkte am Himmel, mal fast in Reichweite des Objektivs. Fast an jedem Teich ist mindestens ein Seeadler, ein kreisendes Seeadlerpaar im Schilf, ein herabstoßender Seeadler, ein Seeadler über den Kiefern. Da brüten sie. Fantasien regen sich, Vorstellungen von Wölfen, die sich mit Seeadlern um Fische streiten. Wenn alles verschiedene Adler sind, waren es acht! Acht Paare brüten allein im Naturschutzgebiet Niederspree. Das sind mehr als in den 1980er Jahren in ganz Schleswig-Holstein. Haubentaucher, Schellenten, Gänse, Limikolen, außerdem Bussarde und mehrere Spechte - im Laufe einer achtstündigen Wanderung. Wohlgemerkt, es war Anfang September, eine der schlechtesten Zeiten, um Vögel zu beobachten. Viele Zugvögel sind bereits weg, die meisten Wintergäste noch nicht gekommen. Wie muss es hier erst im Frühling aussehen? Für Vogelkundler (140 Arten im NSG), Insektenforscher und Botaniker ist die Gegend ein Juwel. Das Heide-Teich-Gebiet, wozu auch das Naturschutzgebiet Niederspree gehört, weist vielfältige Lebensräume auf, Teiche, Nasswaldgebiete, Feuchtwiesen, Dünen und Kiefernforste, sogar Trockenrasen. In Mooren innerhalb der Kiefernwälder kann man seltene Schwarzspechte, Großlibellen, Wasserwanzen und Sonnentau beobachten, Kreuzottern sind nicht selten. In der Heide nannte Engelmann außer Reh, Hirsch und Wildschwein verschiedene Fledermäuse und Ziegenmelker. Letzterem sagten die Menschen früherer Zeiten nach, den Ziegen die Milch auszusaugen. Der Übergang zu den Teichen ist ein amphibisches Reich - oft weiß niemand, was noch Land, was Wasser ist. Offene Wasserflächen wechseln sich ab mit Verlandungszonen aus Schilf und Rohrkolben, Lebensraum für Rohrdommel, Rohrammer und als Brutvögel verschiedene Taucher und Enten. Kraniche balzen. Die Karpfenzucht führt dazu, dass in den Teichen Massen an Karpfen leben, aber auch Hecht und Barsch. Seeadler, Kormoran, Grau- und Silberreiher, Fischotter und Waschbär sind häufig. Die Fischotterpopulation der Lausitz ist die größte Deutschlands (150-200 Tiere). Der Seeadler ist ein ausgeprägter Aasfresser, der sich im Herbst, wenn die Teiche abgelassen werden, in den Schlamm setzt und auf Beute wartet. Seeadler, aber auch Weißstorch und schwarzer Milan sind teilweise in Mengen anzutreffen. An Amphibien sind Rotbauchunke und Laubfrosch zu nennen. Die Karpfenzucht verdrängte Eisvogel und Ringelnatter, Tiere, die sich von kleineren Fischen ernähren. Ulrich Krößlin vom BUND Sachsen vermerkte: "Solche Perlen müssen erhalten bleiben." Das Naturschutzgebiet Niederspree ist ein Naturschutzgebiet der Superlative und - es ist nur eins von 20 Naturschutzgebieten in der Oberlausitz, wozu fast nebenbei noch das Biosphärenreservat kommt. Kurz gesagt: Wenn der Wolf sich hier nicht fest ansiedelt, wo dann? Die Wölfe haben kaum Anfeindungen zu befürchten; Naturschutz ist in der Region großgeschrieben. Fischzüchter sehen traditionell Kormorane und Fischotter als Konkurrenten an und keine Wölfe. Die Pläne des BUND, ein Gebiet zwischen dem Biosphären Reservat der Lausitz und der Brandenburger Schorfheide aufzukaufen, schlugen fehl. Weite Teile der Lausitz stehen aber unter Naturschutz und zudem sind Wölfe anpassungsfähig. Einheimische begreifen, dass "das größte europäische Artenschutzereignis des Jahrzehnts" Einnahmequellen eröffnet. Der Ehrlichthof Rietzschen, eine Mischung aus Freilichtmuseum und soziokulturellem Projekt, kreierte einen Johannesbeerlikör "Wolfsheuler". Ansonsten kann man ein "Wolfmarketing" nicht erkennen. Bisher bleibt die Niederspree ein Geheim Tip, allzumal, weil für Westdeutsche hinter Dresden Polen beginnt - so Engelmann. Er berichtete von einem Naturschützertreffen, in dem ein Referent sich vorstellte mit "Ich komme aus der nördlichsten Stadt Deutschlands". Jeder wusste, das es sich um Flensburg handelte. Als Engelmann sich vorstellte mit "Ich komme aus der östlichsten Stadt Deutschlands" wusste niemand, dass Görlitz gemeint war. Für die Fachleute im Naturschutzzentrum Niederspree ist der Wolf tatsächlich weniger eine Überraschung als für Westdeutsche, die seinen Spuren folgen, da ja in der Vergangenheit immer wieder Einzeltiere die Grenze überschritten, und es, abgesehen von Bejagung, es auch keinen Grund gab, warum sie sich nicht ansiedeln sollten. >Die Lausitzer Teich- und Heidelandschaft ist auch ein Beispiel dafür, dass sich die Bedürfnisse von Mensch und Wildtier nicht ausschließen müssen. Es handelt sich nicht um "unberührte Natur". Die Natur kennt weder Teiche noch Heide, es ist eine Kulturlandschaft, die seit Jahrhunderten genutzt wird. Vor Ort gibt es nichts, was dem Stereotyp des "bösen Wolfes" entspricht. Aktuelle Ironie: Naturschützer klären darüber auf, dass der Beutegreifer Wolf auch Haustiere reißen könnte. Die Biologin Gesa Kluth rät, an den Zäunen von Viehweiden Lappen aufzuhängen, die die Wölfe irritieren könnten. Das positive Echo kippt hoffentlich nicht, falls die Wölfe doch Nutztiere reißen sollten. Ein Stück Natur, das weggebrochen war, ist wieder da. Der Wolf ist nach Hause gekommen, ohne das man ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hätte. Die Wölfe zu sehen, ist unwahrscheinlich. Wer es nicht ganz so genau nimmt, sieht auf jeden Fall einen Caniden: Ein halbzahmer Fuchs schleicht um das Naturschutzzentrum und bettelt.
Utz Anhalt ist Doktorand der Geschichte über die Mentalitätsgeschichte von Mensch und Wildtier, arbeitet als freier Dozent / Journalist und für die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. Literatur: Verschiedene Beiträge in: Naturschutz im Niederschlesischen Oberlausitzkreis-Naturschutzarbeit und Landschaftspflege. Heimatkundliche Beiträge für den Niederschlesischen Oberlausitzkreis. Heft 13. Niesky: Landratsamt des Niederschlesischen Oberlausitzkreises 1997.
Anmerkung: Die Darstellungen und Meinungen im Bericht auf dieser Seite geben die Meinung der Autoren, aber nicht zwingend die der Zoo-AG Bielefeld wieder. |
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