Zoo-AG

Anmerkungen


Dies ist eine Archivseite mit dem inhaltlichen Stand von 2001 und wird nicht aktualisiert. Sie bleibt als historisches Dokument online.

9. Tiergartenbiologischer Workshop Erlangen 2001


10. & 11. November 2001


Unter dem  Motto “Was können/wollen wir erhalten” fand wie immer im November der Tiergartenbiologische Workshop statt, veranstaltet von Dr. Udo Gansloßer.
Am Rande der Tagung zeigte die Zoo-AG die Ausstellung “Ehemaliger Tierpark Schweinfurt”, basierend auf der Arbeit an der Frieden-Volksschule Schweinfurt unter Anleitung von Jörg Nellen. Neben Postern der Schüler gab es Ergänzungen der Zoo-AG und das Modell des Tierparks zu sehen. Herr Nellen hielt einen Vortrag über den pädagogischen Aspekt der Schülerarbeit. Die Ausstellung wurde anschließend teilweise für das Internet aufbereitet und
bei der Zoo-AG auf eigenen Seiten präsentiert. Zudem konnte auf der Fahrt nach Erlangen ein Ortstermin auf dem ehemaligen Zoo-Gelände unter Anwesenheit der Schüler, von Augenzeugen und Pressevertretern wahrgenommen werden.


Vorträge

Wolfgang Zessin, Zoo Schwerin: Einführungsvortrag zum Thema “Was ist eine Art - taxonomische und systematische Fragen” mit einigen Definitionen. Das Monophylie-Kriterium zur Abgrenzung der Arten hat sich noch nicht überall durchgesetzt, oft wird nur nach den Kriterien “nicht-kreuzend” oder Abstammungslinie argumentiert. Nach moderner Definition dürfte es den Begriff “Reptilien” z.B. gar nicht mehr geben. Nicht oft genug kann man betonen, daß etwa Gattungen künstliche Gebilde zur Kategorisierung durch den Menschen sind, aber keinerlei biologische Relevanz haben. Schon Dathe forderte, Unterarten rein zu züchten, was sich aber leichter fordern läßt als durchführen, wie am Beispiel Giraffen deutlich wurde. Zum einen unterscheiden die angelsächsischen Länder nur drei Unterarten, während Kontinentaleuropa neun zählt, von denen in Zoos nur vier in nennenswerten Stückzahlen vertreten sind, und auch diese kaum in selbsterhaltenden Populationen, während etwa ein Drittel der Tiere Unterart-Hybriden sind.  Bedenklich sei auch die “Speziesmacherei”, mit der Unterarten in Artrang erhoben werden, um als IUCN-Kategorie zu gelten oder um Sponsoren im Artenschutz zu finden.

Mark Fischbacher, Zürich leitete seinen Vortrag zu Collection Planning mit einem Zeitungsausschnitt “Eisbären sind richtig lustig” ein, um dann in epischer Breite auf die Geschichte der Zoos von der Menagerie zum Naturschutzzoo einzugehen. Besonders ausführlich auf einer Zeitskala wurden die Eckdaten des Natur- und Artenschutzes seit 1960 erläutert, wobei auffällig ist, daß etwa alle zehn Jahre eine wichtige Organisation gegründet wurde. Anschließend gab er einen Überblick über die bestehenden EEPs mit der provokanten These, daß die meisten Tierarten, die in  Zoos gezeigt werden, nicht stark bedroht seien und Zoo-Populationen daher kaum einen Beitrag zum Artenschutz leisten. Wie steht es also um die Information der Besucher? Dazu ging er dem beliebten Zitat von Baba Dioum «Letztlich werden wir nur erhalten, was wir lieben. Wir werden nur lieben, was wir kennen. Wir kennen aber nur, was wir selber gesehen und erlebt haben.» auf den Grund, der weder Stammesoberhaupt noch Philosoph, sondern Afrikanischer Agrarminister/ Staatssekretär sei und dies während einer IUCN-Rede gesagt habe - im Original “...what we are tought” mit völlig anderer Implikation. Daraus folge, daß solche Infomation in Zoos unseriös und unglaubwürdig sei. Auch das aufgebaute Freizeitpark-Image widerspräche dem Anspruch. Die Forderung: Zoos müssen glaubhaft vermitteln, warum sie Tiere halten.
Auf Entgegnungen der Zoodirektoren, namentlich der Herren Zessin, Mühling und Revers, mußte nicht lange gewartet werden. Sie verwahrten sich gegen schulmeisterliche Alt-Argumente, betonten, daß Artenschutz vorbeugend sein müsse und der gschilderte Artenschutz-Begriff falsch sei, denn Auswilderung käme nur bei einem Prozent der Tierarten in Frage, daher sei die Konzentration auf diesen Aspekt eine zu enge Sicht. Rainer Revers warnte davor, Vergnügungsparks überhaupt erst als Konkurrenz anzusehen und mit ihnen wettzustreiten, da dies in der Öffentlichkeit (Zuschüsse!) nach hinten losgehe. 

Helmut Mägdefrau, Zoo Nürnberg, listete ganz unterschiedliche Punkte auf, was in Zoos erhalten werden sollte. Er warnte vor Unternehmensberatern, die gleich alles ändern wollen. Interaktive Lernspiele dürfen nicht ablenken, sondern müssen die Aufmerksamkeit auf das Tier richten. Zu jedem Tier soll eine Story erzählt werden. Die direkte Konkurrenz mit Freizeitpark zu suchen wird zur Bauchlandung führen, denn “das haben wir nicht gelernt und sind schlechter” - es geht vielmehr um kommunale Unterstützung für eine kulturelle Einrichtung. Auch Events sollen kein Selbstzweck sein, sondern z.B. Leute wieder in den Zoo locken, die lange nicht da waren.
Im zweiten Teil des Vortrages stelte er den neuen Aquapark des Zoo Nürnberg vor, den wir am zweiten Tag während der
Zooführung zu sehen bekamen. Zum Schluß plädierte er für einige in der Öffentlichkeit und daher auch in manchen Zoos umstrittene Praktiken wie natürliche Fütterung - also bei Großkatzen auch mit ganzen Kadavern (Bengt Holst, Direktor Zoo Kopenhagen: “Laßt den Kopf dran - die Leute sollen die Augen sehen!”). Auch Aufzucht von Jungtieren als wichtige monatelange Beschäftigung für die Elterntiere und zur Vorbeugung vor dem Zusammenbruch von Zuchtprogrammen bei vorübergehendem Zuchtstopp sei wichtig (Beispiel Somali-Wildesel) - notfalls gegen öffentliche Vorbehalte und EAZA-Empfehlungen, und auch, wenn dann das Problem überzähliger Tiere gelöst werden muß.

Rainer Revers, Zoo Salzburg, beleuchtete das Problem der Großkatzenhaltung im Zoo. Sie steht seit jeher in der Kritik der Öffentlichkeit (Rilke-Gedicht, Mythos der unendlichen Freiheit), während die Tiere in Zoos lange in paradox winzigen Käfigen gehalten wurden. Zudem ist die öffentliche Meinung vorgeprägt, was u.a. beim Tiger als Flaggschiff-Art genutzt wird. Besucher erwarten Großkatzen im Zoo. Nicht-Öffentliche Probleme im Zoo sind, daß Großkatzen zwar leicht halt- und züchtbar sind, aber die Geburtenregelung mit Komplikationen verbunden ist. Sie sind oft nicht bedroht (Löwe), neigen zu Stereotypien, sind dämmerungsaktiv und bewegungsfreudig falls aktiv. Im Zoo fällt Nahrungserwerb als Haupt-Verhalten fast ganz weg.
Lösungsansätze: Schöne Anlagen sind nicht genug. Präventiv Glaubwürdigkeitsverlust vermeiden; Tierhaltung ist nicht Ziel an sich (EAZA/EU-Zoo-Aufgaben).
Fazit: Haltung im Zoo muß revolutioniert werden. Große Gehegeflächen (ab 1000 qm), reich struktuiert; radikal auf bedrohte (U-)Arten beschränken. Erklären auch in der Öffenbtlichkeit: Warum keine Auswilderung? Strikte Vermeidung jedes “Gefängnis-Effektes”.


Roundtables

2000 war u.a. auf Initiative von Mitgliedern der Zoo-AG erstmals das Plenum für einige Stunden in kleinere Arbeitskreise aufgeteilt worden, in denen spezielle Fragestellungen gemeinsam bearbeitet werden. Das hatte sich bewährt; in diesem Jahr fanden drei Roundtables parallel statt:

Der Roundtable Taxonomie (Zessin) stellte Empfehlungen für das Management von Unterarten auf: Eine Liste empfohlener Unterarten, das mittelfristige Ersetzen der Zootierbestände durch diese, vorhergehende Anfragen vor dem Bau neuer Gehege, eventuell Tiere aus bedrohten Biotopen holen, prophylaktische Haltung jetzt noch wenig bedrohter (Unter-)Arten zum Erfahrungssammeln.

Der Roundtable Collection Planning (Gansloser) beschäftigte sich mit der Frage, welche Tiere ein Zoo zeigen soll.
Bottom-Up-Methode (vom Einzelzoo aus): Bei jeder Art müsse eine Geschichte zu erzählen sein. Eine Haltung ist nur gerechtfertigt, wenn über die reine Ausstellung hinaus begründbar. Zuchtstopps bei kurzlebigen Arten (Nerz, Kowari) dürfen nicht stattfinden, daher sei eine Tötungsoption nötig.
Top-Down-Methode (von übergeordneten Gremien wie EAZA, TAGs aus): Festlegung nach Bedrohung, Zuchtnotwendigkeit, Edukationspotenzial. Problem: Mangelnde Kompetenz der Behörden und Kontrollinstanzen; abweichende Bewertungen: Ist es gerechtfertigt, Arten nach Publikumsattraktivität ausszusuchen?. Problematik kleiner Einrichtungen: konzentrieren sich auf Arten, die sie leicht halten und gut zeigen können.

Der Roundtable Verhalten erhalten (Maisch) stellte einige Kriterien für Verhaltensbewahrung im Hinblick auf Wiederauswilderung auf: Jungtieraufzucht ist für Verhaltensanreicherung und Sozialsystem wichtig. Überversorgung mancher Tiere führt zu falschem Verhalten  (z.B. geheizter Stall bei Wisenten bringt Geburten im Herbst). Langfristige Planung nötig; eigene und öffentliche Strategie festlegen und erklären. Eher ablehnende Haltung zu Handaufzuchten. Enrichment oft nur Alibi für ungeeignete Anlage, in der sich die Tiere selbst beschäftigen können? Kann auch Streßfaktor sein und dient ebenso wie Dressur nur zur Überbrückung, bis optimale Haltung gefunden.



Weitere Vorträge

Wolfgang Festl, EuroNerz: Die neue Methode, statt wie früher Mutternerze mit den Jungtieren  zusammenzulassen und später einzeln zu halten jetzt die Mutter wegzunehmen und die Jungtiere zusammenzulassen, scheint sich mit wesentlich weniger agressiven Tieren besonders zur Paarungszeit zu bewähren. So konnte er Prozentsatz erfolgreicher Verpaarungen in der Zuchtanlage für den hochbedrohten Europäischen Nerz deutlich gesteigert werden.

Haike Maisch, Zoo Schwerin: Verhaltensforschung im Zoo - so verrückt wie die Tiere?? Zeigen Zootiere “natürliches” Verhalten, und muß/sollte es eigentlich mit dem in der Natur übereinstimmen? Definitionen von tiergerecht, artgerecht und verhaltensgerecht nicht klar und nicht deckungsgleich. Erhalten werden soll: Genetisches Potenzial, Phänotyp und Verhalten - ! Oft vergessen. Dazu gehören Jagdverhalten, Nahrungstypen (giftig / wehrhaft?). Dabei ist Verhalten  je nach Population auch in der Natur unterschiedlich und immer zweckgebunden: Dauer, Intensität und Kontext varieren auch innerhalb der Anpassungsfähigkeit der Spezies. Im Zoo muß Verhalten so intensiv gezeigt werden können, daß physiologische und psychologische Schäden verhindert werden. Der Mehraufwand ist Tierpflege (Zeit und Geld) und der Bau maßgeschneiderter Anlagen (statt Allzweckgehegen und Umbauten).

Kartin Wolf-Kaltenhäuser: Kindergeburtstage im Zoo Nürnberg werden nun über eine eigene Firma mit versicherten Mitarbeitern und Sozialabgaben organisiert.

Sabine Bauer: Freie Mitarbeiterin im Zoo Berlin bietet  tiergartenbiologische Themen für Kinder und Jugendliche an.

 

Sowie viele weitere Vorträge, zumeist Diplomarbeiten, die hier nicht einzeln vorgestellt werden können - es gibt hoffentlich später einen Tagungsband.



Website der Arbeitsgruppe Tiergartenbiologie:
www.zoobiology.de
 (betreut durch die Zoo-AG)




Am Nachmittag des zweiten Tagungstages gab es wie gewohnt eine Führung durch den Zoo Nürnberg mit Schwerpunkt neuer Aquapark




Bericht vom Workshop 2000




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