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Leserbrief zu: Die besten Tierparks - Freiheit im Zoo (Natur&Kosmos, März 2001)


Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Redaktion,

 als Mitglied der Zoo-AG Bielefeld (Studentische Arbeitsgruppe Zoobiologie), die sich seit Jahren mit der Entwicklung der Zoos beschäftigt, alle erwähnten Parks selbst besucht hat und auch aktiv im Artenschutz engagiert ist, kann ich nicht umhin, Ihren Artikel zu kommentieren.

Ihr Autor Michael Miersch versucht in anerkennenswerter Weise mit grundsätzlich positivem Tenor, auf wenigen Seiten gleich das ganze Thema Zoo abzuhaken: Erlebniswelten und Tiertötungen, Arterhalt und Gehege-Design, Geschichte und Behavioral Enrichment.

Leider übersetzt er letzteres falsch mit "Umgebung, die artgerechtes Verhalten ermöglicht - Wildnis im Taschenformat" (richtig wäre: Verhaltensanreicherung - Beschäftigungsmaßnahmen für Tiere, um Langeweile vorzubeugen). Er hält "Stilbauten" im Ethno-Stil für eine Erfindung der letzten Jahre (die beeindruckenden Stilbauten etwa in den Zoos Berlin, Köln oder Antwerpen stammen aus dem 19. Jahrhundert!).

Schwerer wiegt noch, dass die Interviews und viele gesammelte Daten schlicht veraltet sind - dass Bill Conway noch immer als Direktor des Bronx Zoo genannt wird, mag noch gehen (er ging vor knapp 2 Jahren in Ruhestand), bei Wim Mager und Apenheul kann man wohl kaum darüber hinwegsehen (Wim Mager widmet sich schon seit vielen Jahren dem Aufbau eines weiteren Affenparks in Romagne, Frankreich). Apenheul als "Affenhügel" fehlzuübersetzen (richtig heißt es so etwas wie "Affenheim") ist ein leider häufiger Fehler (beliebt ist auch "Affenhöhle" und "Affengeheul"...), es aber als Zoo "ohne Gräben und Glasscheiben" zu bezeichnen, zeigt nur, dass der Autor noch nie dort war: Fast alle Gehege sind von Gräben umgeben! Auch Glas gibt es jede Menge. Und die beeindruckenden freilaufenden Affen, über die im Fernsehen so gerne berichtet wird, sind erstens schon immer in der Minderheit gewesen, und diese Kontaktmöglichkeiten werden zweitens immer stärker eingeschränkt: Eben um den Tieren ein "natürliches" Leben ohne ständigen Menscheneinfluss zu ermöglichen.

Die erstaunlich freimütige Betrachtung über Tötung überzähliger Tiere, lobenswert mit neutraler Erörterung von Pro- und Kontra-Argumenten, schließt er mit der wohl ironisch gemeinten Idee der ZEIT, das Fleisch im Zoo-Restaurant zu verkaufen, und macht den mühsam erzielten Diskussions-Ansatz damit wieder zunichte.

Viel Gewicht legt Michael Miersch auf Artenschutz im Zoo, kommt aber inhaltlich über die flüchtige Lektüre von Colin Tudge's "Letzte Zuflucht Zoo", Stand 1992, nicht hinaus:

Er missversteht den Ansatz des Jersey Zoo: selbstverständlich gibt es dort nicht nur "unscheinbare Arten", sondern auch Publikumslieblinge wie Menschenaffen und Bären, deren Auswilderung nicht geplant ist (sondern die der Besucher-Aufklärung dienen); der Tierbestand ist keineswegs "nur einige Dutzend Arten", sondern laut Jahresbericht zurzeit 107 Arten, der normale Bestand eines mittelgroßen Zoos ohne Aquarium. Dennoch ist Jersey, dessen Direktor Jeremy Mallinson Sie auch noch falsch schreiben, einzigartig, nämlich durch die frühe Verknüpfung von in-situ- und ex-situ-Arterhaltungsmaßnahmen: Hand in Hand mit dem Schutz der Tiere und des Habitats vor Ort. Dieser einst wirklich revolutionäre Ansatz wird mit keinem Wort erwähnt.

Der Autor hat nicht ein einziges Artenschutz-Beispiel aus Deutschland parat, geschweige denn, dass er die dabei besonders engagierten deutschen Zoos nennt. Dabei gäbe es auch in Deutschland Beispiele in Hülle und Fülle - der Ausflug nach New York, Jersey und Apeldoorn wäre völlig unnötig gewesen! Nur drei Beispiele: Der Zoo Münster hat in den letzten Jahren nicht nur enorm in neue, naturnahe Anlagen investiert (Orang-Utan-Tropenhalle "ZoORANGerie", oder die betretbaren Gehege für Kattas und Guerezas), sondern engagiert sich seit Jahren mit eigenen Projekten u. a. in Vietnam für den in-situ-Artenschutz. Der Zoo Köln startete ähnliches, der Zoo Berlin ist z. B. in Madagaskar aktiv. Mehrere Zoos, darunter Heidelberg und Landau, haben just zum Erscheinen Ihres Heftes die WAPCA gegründet (West African Primate Conservation Action), die sich dem Schutz der westafrikanischen Affen und ihrer Lebensräume verschrieben hat. Das wäre alles ganz einfach zu recherchieren gewesen.

Die Bildauswahl ist noch peinlicher: von den neun Fotos zum Thema stammen nicht weniger als sechs aus der Presse-CD-ROM des Zoo Hannover (Glückwunsch zur PR-Arbeit nach Hannover!). Darunter das nun überhaupt nicht zum Thema Artenschutz passende Flußpferd-Bild in der Kinder-Ecke, und das falsch mit "Apenheul" beschriftete vom "Gorillaberg" im Inhaltsverzeichnis mit der Unterschrift "keinerlei Barrieren zwischen Tier und Mensch" - bei Gorillas? Ein weiteres Foto zeigt Besucher mit Wollaffen in Apeldoorn: das gibt es dort schon seit einigen Jahren nicht mehr. Wie einst beim SPIEGEL SPECIAL 1/97 hat auch hier offensichtlich eine Bildredaktion nachträglich zugeschlagen.

Ganz verfehlt ist die beigefügte, höchst willkürliche Zoo-Liste mit Kurzportraits, die wohl unter STERN-Zugzwang entstand, aber sich in der Qualität der Recherche leider auch an dieser orientierte. Weshalb etwa war Dresden "zu DDR-Zeiten ein grausiger Tierknast" (wo haben Sie das bloß her?). Zur Auswahl - ohne andere Parks aus der Liste werfen zu wollen, und natürlich gibt es noch viel mehr Zoos in Deutschland: Zoos wie Hamburg (Hagenbeck), Münster, München und Dortmund kann man einfach nicht weglassen - zumal noch Platz auf der Seite war.

Besonders deutlich: aktuell ist sie in keinster Weise. Während in Köln die Leopardenanlagen (etwa 6 Jahre alt) noch als neu gelten, ist in Krefeld die Hauptattraktion (das Südamerika-Regenwaldhaus von 1998) noch gar nicht erwähnt, auch das "vor kurzem" erbaute Elefantenhaus in Wuppertal stammt von 1995. Der "neue" Direktor Dr. Schmidt leitet den Zoo Frankfurt seit 1994...

Diese Zusammenstellung hätte so vor Jahren veröffentlicht werden können - und den Eindruck hat man vom ganzen Artikel: lag lange in der Schublade und wurde dann lieblos und ohne viel erneute Recherche mit Bildern aus Archiv und Pressemappen gedruckt.

Es geht hier nicht um kleinliche, rechthaberische Kritik an einzelnen Fakten. Aber es ist ungeheuer schade, wenn ein wichtiger Artikel mit richtigem Ansatz und Grundton so unter mangelnder Aktualität und Recherche leidet, dass seine Glaubwürdigkeit auch bei interessierten Laien in Frage gestellt wird.

Darüber kann auch der engagierte und bei aller Datenfülle gut verständliche Schreibstil des Autors und die durchaus im Kern richtig verstandene Entwicklung in den Zoos nicht hinweghelfen.

Der Autor erzählt weitgehend alte Faken nach und sammelt Anekdoten. Ein Bild besonders der deutschen Zoolandschaft und des Trends zum Artenschutz entwirft er nicht. Bei STERN und SPIEGEL ist so etwas leidlich zu entschuldigen. In dieser Zeitschrift jedoch hätte ich für eine Titelstory mehr erwartet.

Dirk Petzold, Zoo-AG Bielefeld


Diese Seite wurde erstellt am 23.3.2001 von: Dirk Petzold