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Leserbrief zum Spiegel special 1/97


auf den Artikel "Wo der Makake sich entmannt" im Spiegel special 1/97

Sehr geehrte Damen und Herren der Spiegel-Redaktion,

in der Überschrift zu seinem Artikel stellt Claus-Peter Lieckfeld die Frage: "Sind Zoos heute wirklich tiergerecht?" und setzt sich im weiteren Verlauf mit der Tierhaltung in Zoos auseinander. Hierzu möchten wir uns als Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Zoobiologie der Universität Bielefeld äußern.

Er beansprucht für sich, eine "knappe Übersicht der derzeitigen, kritischen Einwände" zu schreiben. Doch Polarisiertes liest sich besser, und statt differenziert auf die aktuellen Probleme der Zootierhaltung einzugehen, ist es viel einfacher, bei der guten, alten Schwarz-Weiß-Malerei zu bleiben.

Sicherlich ist die Realität den Zoos und Tierparks keine heile Welt, die mit Walzerklängen untermalt vor den Augen des Betrachters abläuft. Aber Herr Lieckfeld (oder Ihre Redaktion) muß sich nicht nur bei den Bildern zu seinem Artikel den Vorwurf gefallen lassen, daß er den gleichen Fehler gemacht hat, der Herrn Sielmann unterstellt wird: nämlich die Zookritik nur aus der Rückblende zu betreiben. Viele der Photos und Argumente sind schlicht und einfach veraltet: Elefanten gibt es z.B. im Frankfurter Zoo schon seit 1983 nicht mehr, denn man hat dort eingesehen, daß eine Elefantenhaltung nach heutigen Maßstäben dort nicht möglich ist. Wir möchten dem Artikel zugute halten, daß offensichtlich Titel, Fotos und Gedicht von der Redaktion wenig passend hinzugefügt worden sind.

Man mag Herrn Sielmann vorwerfen, nur die schöne neue Zoowelt zu zeigen, aber er reitet wenigstens nicht auf längst ad acta gelegten Argumenten herum. Er hat gewiß mit seiner Form der Berichterstattung mehr zum Naturschutz beigetragen als alle noch so kritischen oder pseudokritischen Spiegelartikel. Er ist kein Heiliger und muß sich Kritik genauso stellen wie die Zoos und die Zoogegner, aber er hat es wirklich nicht verdient, lächerlich gemacht und als naiv dargestellt zu werden.

Die deutschen, oft recht konservativen Zoos waren in den letzten Jahren sicherlich nicht die Vorreiter bei der Umgestaltung der Zoos. Aber es gibt mutige Projekte, die zeigten, wie sehr neue Konzepte Fachwelt, Medien und "normale" Zoobesucher gleichermaßen beeindrucken, ob Apeldoorner Affenpark "Apenheul" oder Jerseys Spezialisierung auf Erhaltungszuchten bedrohter Arten und nicht zuletzt Sielmanns Beispiele in Wien, Arnheim und Hannover. Dort wird bis zur EXPO 2000 für 70 Mill. DM eine Erlebnislandschaft nach der anderen erbaut. Bis Pfingsten soll mit dem "Dschungel-Palast" ein ambitioniertes Projekt für die asiatische Tierwelt mit Elefanten und Großkatzen realisiert werden.

Herr Lieckfeld würde nun sicherlich behaupten, die 70 Mio. DM wären zum Kauf bedrohter Lebensräume besser eingesetzt worden, nur übersieht er dabei eine winzige Kleinigkeit: Dieses Geld steht für einen solchen Zweck überhaupt nicht zur Verfügung! Allerdings kann es im Zoo sowohl tier - als auch artenschützerischen Effekte haben: Erstens werden den Tieren bessere Bedingungen geschaffen, und zweitens wird den Besuchern ein Erlebnis geboten, das sie auch emotional anspricht: Denn nur was man kennt ("live" sieht, hört, riecht; nicht nur auf der Mattscheibe vorgeführt bekommt) möchte man schützen, und je mehr über ein Ökosystem in einem Zoo vermittelt wird, desto mehr kann man erwarten, daß die Besucher sich auch für den Schutz des Lebensraums engagieren. Dies muß allerdings Hand in Hand mit einer sinnvollen Aufklärung über dessen Gefährdung gehen.

Das Verhalten von Tieren ist nicht einfach zu interpretieren! Das wurde im Artikel selbst angemerkt und dessen ungeachtet der gleichen Fehler immer wieder gemacht. Stereotypien als Leerlaufhandlungen zu bezeichnen ist schlicht falsch ("beim Barte von Lorenz!"), und sie als Ægefangenschaftstypisch" zu bezeichnen, ist eine böswillige Unterstellung! Es macht sich ja auch immer gut, auf Seiten der gequälten Kreatur gegen die Willkür in Zoos zu kämpfen.

Genug der Polemik. Sicher sind Zoos kein Tierparadiese. Keine Frage, es gilt, schlechte Tierhaltung zu kritisieren. Es geht aber nicht an, alle Zoos über einen Kamm zu scheren oder gar das "Prinzip Zoo" zu verteufeln.

Wir als Arbeitsgruppe Zoobiologie sehen uns als kritische Beobachter, die die `Zoowelt' aus einiger Distanz beobachten. Wir sind grundsätzlich pro Zoo, doch immer bereit, offensichtliche Mißstände und Fehlentwicklungen anzuprangern. Den gleichen Ansatz hat die jährliche ZooKunft-Tagung, dieses Jahr Ende Februar in Hannover, wo das Thema 'Zoo' von verschiedensten Seiten beleuchtet wird. Zookritiker sind nicht nur willkommen, sonders explizit eingeladen, sachlich mitzudiskutieren.

Bei der Beschreibung der Situation in den Zoos ist weder die rosarote Brille aufzusetzen, noch, wie es Ihr Artikel tut, ein Standgericht abzuhalten. Es tut sich etwas in der Zoolandschaft Europas, und es sollte unsere Aufgabe als interessierte Fachleute und Laien sein, auch durch konstruktive Kritik dabei mitzuhelfen, daß die 'Arche Zoo' auf dem richtigen Kurs bleibt.

Ihrem Autor, Herrn Lieckfeld, haben wir einen teilweise gleichlautenden, jedoch ausführlicheren Brief mit mehr Beispielen und Details geschickt.

Wir würden uns freuen, von Ihnen zu hören.

Mit freundlichem Gruß,

D. Petzold, M. Schleef

für die Zoo-AG Bielefeld


Nachtrag: Mit Herrn Lieckfeld entwickelte sich eine längere, freundlich-polemisch-informative Briefdiskussion. Dabei haben beide Seiten erstaunt festgestellt, daß die Meinungen nach Aufklärung einiger Mißverständnisse gar nicht so weit auseinanderliegen. Die Spiegel special - Fotos und Bildunterschriften waren von der Redaktion hinzugefügt bzw. von einer Agentur mit falschen Angaben geliefert worden. Von der Redaktion haben wir übrigens nie etwas gehört...


Diese Seite wurde erstellt am 10.3.1997 von: Dirk Petzold